Die philosophische Fakultät I der
Bayerischen Julius-Maximilians Universität Würzburg kann ihre Wurzeln bis auf
einen der ältesten Universalgelehrten des 17. Jahrhunderts, Athanasius Kirchner
(1602-1680) zurückverfolgen, der im Jahre 1643 eines seiner bedeutendsten Werke
zu den Sprachen des Vorderen Orients und den Hieroglyphen Ägyptens (Lingua
Aegyptiaca restituta) veröffentlichte. Er selbst forschte als Universalgelehrter
überdies noch in den Bereichen der Philosophie, Mathematik, der hebräischen und
syrischen Sprachen, sowie in der Sinologie und Musikwissenschaften. Erst mit dem
sich stetig vergrößernden Kenntnisstand innerhalb der Forschungslandschaft wurde
ein schleichender Prozess der Ausdifferenzierung einzelner Fachdisziplinen
eingeleitet, der mittlerweile sogar so weit geht, dass interdisziplinär
vermittelnde Instrumente zwischen die Fachbereiche geschalten werden müssen.
Diese Entwicklung ist auch im Hinblick auf das Verständnis der
Methodologiegeschichte wichtig, da mit der Spezialisierung der Teldisziplinen
einhergehend die traditionell philologischen und kunsthistorischen Ansätze durch
den interdisziplinär-kulturwissenschaftlichen Ansatz ergänzt werden mussten. Das
große Ganze aus dem die einzelnen Wissenschaftsbereiche abgeleitet wurden, darf
also bei allem Eifer nicht aus den Augen verloren werden, da die
Interdependenzen trotz der Zersplittung fortbestehen. Beispielsweise bilden
moderne Ausgrabungen den Versuch ab, längst versunkene natürliche Umwelten zu
rekonstruieren, bei denen erst die Fähigkeiten einzelner Experten wie
Archäologen, Geologen, Paläozoologen oder Paläobotaniker im Zusammenspiel ein
aussagekräftiges Bild liefern können. Besinnen wir uns also im Folgenden auf die
Wurzeln der Würzburger Altorientalistik zurück, um durch sie die fachliche
Verschachtelung der Einzeldisziplinen besser verstehen zu lernen. Da sich jede
Handlung vom zu erreichenden Zweck ableitet, ist es notwendig zuerst nach den
Gründen und Hintergründen der Erforschung des Morgenlandes zu fragen. Während
der Zeit der Aufklärung erwachte in Europa das Interesse an alten und
außereuropäischen Kulturen sowie an religiösen Textvergleichen. Am Anfang
standen demnach in erster Linie theologische Untersuchungen zu den
Originalsprachen des Alten Testaments – Hebräisch und Aramäisch. Von den
Kreuzzügen abgesehen entbrannte das Interesse am Morgenland vor allem durch das
praktische Bedürfnis der Missionierung der Heiden. Nach den ersten
Entschlüsselungen der altpersischen Keilschriftttexte durch Grotefend im Jahre
1802 und den damit einhergehenden Übersetzungsmöglichkeiten durch die
Behistun-Inschrift Dareios I. kamen teils aus Reflexion, teils aus
intellektueller Neugier weitere Interessen am Studium altorientalischer Texte
hinzu.
Sprachvergleichend und in Auseinandersetzung mit dem Islam
addierte sich zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts die Beschäftigung mit dem
Arabischen. Dies erfolgte zunächst innerhalb der theologischen Fakultät bis sich
im Jahre 1908 die Orientalische Philologie von ihrer einstigen Mutterdisziplin
lossagte und in die Philosophische Fakultät überführt wurde. Im Zuge dieser
Neuordnung wurde Maximilian Streck 1908 zum ersten außerordentlichen Professor
für Altorientalistik berufen und leitete damit die Geschichte des Lehrstuhls
ein. Diesen leitete er ab 1916 erfolgreich als persönlicher Ordinarius, bis sich
nach der Machtergreifung Adolf Hitlers eine folgenschwere Umstrukturierung der
Universitätslandschaft ergab, der auch der Lehrstuhl für Orientalistik nicht
entrinnen konnte.
Am 1.04.1939
wurde der Lehrstuhl für Orientalische Philologie gegen den Willen der Fakultät
in den Lehrstuhl für mainfränkische Kunstgeschichte umgewandelt, der mit Dr.
Clemens Schenk besetzt wurde. Am 16.03.1945 wurden durch den Luftangriff auf
Würzburg große Teile des Universitätsgebäudes zerstört, deren Wiederaufbau
Jahrzehnte in Anspruch nahm. Auch die altorientalische Bibliothek fiel diesen
Luftangriffen zum Opfer, weswegen in der Nachkriegszeit immense Summen in den
Wiederaufbau der Bibliothek flossen. Von den Jahren 1960 bis 1967 beliefen sich
die gewährten Haushaltsmittel auf über 130.000 DM – ein Budget von dem sich
heute nur noch träumen lässt. Dieser finanziellen Unterstützung ist es auch zu
verdanken, dass die Zeitschriftenabteilung des altorientalischen Seminars zu
einer der besten Deutschlands aufgestockt werden konnte. Neben dem Wiederaufbau
der Bibliothek, bestand ein weiterer Anreiz für das Studium in Würzburg in dem
am 13.02.1963 im Südflügel der Residenz wiedereröffneten
Martin-von-Wagner-Museum, dessen Besitz zum Großteil auf die Stiftung des
gesamten Kulturbesitzes Martin von Wagners im Jahre 1858 zurückgeht und durch
den Zukauf der Fioli-Sammlung im Jahre 1872 mit rund 500 Tongefäßen griechischer
sowie etruskischer Herkunft zu einem der bedeutendsten Sammlungen antiker Kunst
aufgestockt werden konnte. Die Neueröffnung des Museums innerhalb der Residenz
erfolgte hierbei aufgrund der vollständigen Zerstörung des Südflügels und der
damit einhergehenden Nutzungsfrage durch den Luftangriff auf Würzburg. In die
Diskussion um die zukünftige Nutzung der Räumlichkeiten im Südflügel reihten
sich in den 60ern auch die Altertumswissenschaften ein, die nach der Zusage für
die Neueröffnung des Museums in der Residenz nachziehen wollten. Dem wurde in
den 70ern Rechnung getragen und die altorientalische Philologie bekam die Räume
im dritten Stock direkt neben dem Museum zugesprochen. Mit dem Ende des Zweiten
Weltkrieges veränderte sich aber nicht nur der finanzielle und räumliche Rahmen,
sondern auch die personelle Struktur wurde durch die Entnazifierungspolitik neu
geordnet. So wurde im Zuge der Umbesetzung, der in Zittau geborene Theo Bauer,
der zuvor an der Universität Breslau tätig war, als ordentlicher Professor an
die Universität Würzburg berufen. Dieser trat seine Arbeit 1947 an und beendete
sie zwei Jahre vor seinem Tod im Jahre 1956.
Zum Nachfolger
Theo Bauers wurde 1958 Wilhelm Eilers, der neben der Funktion als
Universitätsprofessor auch den Posten des Vorstands des Orientalischen Instituts
inne hatte. Eilers, den als studierter Jurist auf den ersten Blick wenig mit der
Altorientalischen Philologie verbindet, verstand es gekonnt zwischen der
Jurisprudenz und der Altorientalistik eine Brücke zu schlagen, indem er sich auf
die Erforschung juristischer Texte innerhalb der Altorientalischen Philologie
konzentrierte. Hierbei sind vor allem seine Werke zu Gesellschaftsformen des
babylonischen Rechts sowie zum Codex Hammurabi als herausragende Arbeiten zu
nennen. Im Laufe seines Lebens unternahm er mehrere Expeditionen in den Irak und
den Iran, wodurch er begann sich stärker mit der vorderasiatischen Archäologie
sowie der Semitistik und Iranistik auseinander zu setzen. Aufgrund seiner
Erfahrungen mit dem Iran und seiner durch die neuerlichen Forschungsschwerpunkte
hinzugewonnenen Expertise, wurde er 1945 zum Leiter der Außenstelle des
Deutschen Archäologischen Instituts in Isfahan. Der Aufenthalt im Iran währte
jedoch nur bis 1947, als die Briten ihren Machtausbau im Iran geltend machten
und Wilhelm Eilers gegen seinen Willen nach Australien ins Exil beförderten.
Prof. Eilers föderte in seiner Zeit als Leiter des Lehrstuhls die Kooperation
zwischen Orient und Okzident, so beispielsweise mit der Einstellung von
Radjabali Herawi als Lektor. Im August 1968 nahmen unter seiner Leitung 540
Teilnehmer aus 30 Ländern am 17. Deutschen Orientalistentag der 1843 gegründeten
Deutschen Morgenländischen Gesellschaft teil, der in diesem Jahr an der
Universität Würzburg abgehalten wurde.
1974 wurde
schließlich Prof. Eilers von Einar von Schuler abgelöst, der aufgrund seiner
Beschäftigung mit nichtindogermanischen Sprachen wie Hurritisch oder Urartisch
zuvor in Berlin das Projekt „Corpus der hurritischen Sprachdenkmäler“ ins Leben
gerufen hatte. Überdies vertrat er 1969 den erkrankten Grabungsleiter Ernst
Heinrich bei den Ausgrabungen der deutschen Morgenländischen Gesellschaft in
Tell Munbaqa und Habuba Kabira. Von Schuler waltete bis zum Jahre 1987 seines
Amtes, in dem er aufgrund seiner schweren Herzerkrankung um die Versetzung in
den frühzeitigen Ruhestand bat.
Sein Nachfolger
wurde 1988 Prof. Gernot Wilhelm, der sich aufgrund der fehlenden
außeruniversitären Forschungsinstitute wie etwa dem Max-Planck-Institut für
kleine Fächer wie die Altorientalistik stets um Drittmittel bemühte, um die
Forschung selbstständig aufrecht erhalten und fortführen zu können. So
beantragte er erfolgreich die Gründung des Hethiterportals über die Akademie der
Wissenschaften Mainz, bei der er selbst die Funktion des Vizepräsidenten
innehat. Das Hethiterportal fungiert als elektronische Edition von den ca. 25000
bei deutschen Ausgrabungen in der Hethiterhauptstadt Hattuša gefundenen Tontafelfragmenten. Ein
weiteres Drittmittel-Projekt, das er an die Universität Würzburg geholt hat, ist
das durch Asoss M. Qader bearbeitete DFG-Projekt zu Personennamen aus
Tell-el-Fakhar. Dank der Vielseitigkeit der Forschungsschwerpunkte Prof
Wilhelms, ist die Universität Würzburg unter ihm zum einzigen Standpunkt
weltweit geworden, an dem es möglich ist Hurritisch, Urartäisch, Rand-Akkadisch,
Hethitisch, Hieroglyphisch-Luwisch und Sumerisch gleichzeitig zu erlernen. Neben
der philologischen Ausbildung innerhalb dieser Sprachen, legte er überdies
großen Wert auf die Vermittlung der historischen Inhalte jener Keilschrifttexte,
vor allem der Geschichte der späten Bronzezeit in Vorderasien.
Das Jahr 2010
wird für die Altorientalisten der Universität Würzburg indes mit weitläufigen
Veränderungen einhergehen. So steht ein weiterer Umzug bevor, nachdem die
Universität Würzburg die einst von den amerikanischen Truppen genutzten Flächen
am Hubland gekauft hat und die Leighton Barracks mit ihrer großzügigen
Infrastruktur zu neuen universitären Räumlichkeiten umzubauen plant. Aber nicht
nur die räumliche Neuorientierung kommt auf den Lehrstuhl für die Philologie des
alten Orients zu, sondern auch eine personelle Neubesetzung, dessen Resultat bis
dato noch nicht bekannt ist. Da jeder Professorenwechsel - manchmal zum
Leidwesen der mehr an Forschungsstrukturen orientierten Planer - einer
fachlichen Umstrukturierung durch die Verschiebung der Forschungsschwerpunkte
gleichkommt, bleibt die Zukunft der Altorientalisten in Würzburg also weiterhin
spannend, denn jedes Ende birgt auch einen neuen Anfang.
Die Geschichte des Lehrstuhls in
Bildern
|
|